James Swanson: »Mit jedem Schritt in Richtung Gipfel steigt das Risiko«

GASTKOMMENTAR

GASTKOMMENTAR | James Swanson, Chief Investment Strategist, MFS Investment Management über Kurse und Fundamentaldaten.

Von James Swanson, MFS Investment Management

Wenn die Märkte dieses Jahr ins Schlingern geraten, dürfte der Auslöser kaum eine unerwartete politische Entwicklung sein. Eher schon könnte es daran liegen, dass der seit drei Quartalen gleichmäßig steigende Welthandel wieder schrumpft. Der Aktienmarkt reagiert stärker auf synchrones Weltwirtschaftswachstum als auf politischen Wandel in Washington oder Wahlen in Europa. In Japan, China, dem Euroraum und den USA gab es in den letzten Monaten erfreuliche Konjunkturüberraschungen – auf die der Markt entsprechend reagierte.

Doch jetzt scheint es, als würde der Aufschwung – wie bereits drei frühere Aufschwünge im mittlerweile acht Jahre alten Konjunkturzyklus – zu Ende gehen. Für eine erneute Konjunkturdelle spricht Folgendes.

1.) China, der wichtigste Treiber der synchronen Weltkonjunktur seit Mitte 2016, zeigt Schwäche. Im Vorjahresvergleich sind Kredit- und Geldmenge nicht mehr so stark gestiegen wie 2016. Außerdem haben die Behörden die Kreditvergabe für Auto- und Immobilienkäufe gestrafft. Traditionell bremst und beschleunigt die Kreditvergabe die chinesische Konjunktur und beeinflusst dabei die Rohstoffpreisentwicklung. Jetzt könnte wieder eine Bremsung anstehen.

2.) Die größte positive Überraschung des Jahres, der Euroraum, mahnt ebenfalls zur Vorsicht. Wie in China geht das Kreditwachstum zurück, und auch die Inflationsdynamik hat nachgelassen. Hinzu kommt, dass europäische Exporteure unter einer schwächeren chinesischen Konjunktur stark leiden.

3.) Trotz des stabilen Arbeitsmarkts und erfreulicher Stimmungsindikatoren droht auch in den USA Ungemach. Die Löhne sind zuletzt moderat gestiegen, aber die Inflation hat zugelegt, sodass die Realeinkommen unter Druck gerieten. Außerdem bremsen stark steigende Gesundheitskosten und hohe Wohnkosten den Konsum.

4.) Wie die Verbraucher sind auch die amerikanischen Unternehmen mit steigenden Kosten konfrontiert, sodass die früher hohen Gewinnmargen schrumpfen. Steigende Margen waren der vielleicht wichtigste Grund für die achtjährige Aktienhausse. Der derzeitige Margenrückgang und die wenig beeindruckende Preismacht schaden aber den freien Cashflows, die den aktuellen Konjunkturzyklus maßgeblich getragen haben. Damit die Gewinne auch in der Spätphase des Zyklus steigen können, müssen sich die Margen durch Kostensenkungen erholen – oder durch eine höhere Inflation. Dann haben die Unternehmen auch wieder Preismacht, und die Gewinne können steigen. Aber zurzeit gibt es weder überzeugende Anzeichen für Kostensenkungen noch für mehr Umsatzwachstum.

Trotz dieser Herausforderungen scheint aber keine Rezession zu drohen.

Hat Washington unsere Unterstützung?
Eine Rezession ist also unwahrscheinlich, und an den Märkten erwartet man von der neuen US-Administration Steuersenkungen und Deregulierung. Sollten Investoren US-Aktien dann nicht übergewichten? Die Antwort ist nein. Solange der Druck auf Gewinne und Umsätze anhält, dürfen wir die Bewertungen nicht außer Acht lassen. Im aktuellen Marktzyklus waren Aktien meist recht billig, aber das hat sich geändert.

Hier sind einige Kennzahlen, mit denen ich die relative Bewertung messe: Zunächst betrachte ich die freie Cashflow-Rendite des S&P-500-Index. Sie ist auf magere 2,6 Prozent zurückgegangen, nach 5 oder gar 6 Prozent am Anfang des Zyklus. Offensichtlich sind die Bewertungen im Vergleich zu früher nicht mehr niedrig, und in den Kursen sind sehr viele erwartete gute Nachrichten bereits enthalten.

Auch ein anderes meiner bevorzugten Bewertungsmaße sendet Warnhinweise: Das bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis beträgt jetzt fast 30 – ein sehr hoher Wert, der in den 100 Jahren seit Beginn der Erhebungen nur zwei Mal überschritten wurde. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis des Aktienmarkts ist ebenfalls hoch, und die Kurs-Gewinn-Verhältnisse mancher kleineren Unternehmen (auf Erwartungsbasis) sind hoch wie nie.

Nur wenig Puffer
Trotz dieser Warnhinweise geht man am Markt offensichtlich noch immer von einem sehr guten Fundamental- und Makroumfeld aus. Man unterstellt, dass die Unternehmen ihre Preise schneller anheben können als die Kosten anziehen, damit die Gewinnmargen wieder auf die hohen Werte von Beginn dieses Zyklus steigen können. Implizit werden auch recht stabile Zinsen, fallende Steuern und ein Verzicht auf protektionistische Maßnahmen angenommen. Und dann scheint man auch noch zu glauben, dass der derzeitige Konjunkturzyklus noch länger dauert – vielleicht noch viele Jahre.

Wenn die Kurs-Gewinn-Verhältnisse und die Kurs-Umsatz-Verhältnisse von Aktien niedrig sind, können Investoren auch mit Enttäuschungen fertig werden. Insbesondere zu Beginn eines Zyklus werden Rückschläge schnell überwunden. Doch wenn der Zyklus schon acht Jahre dauert, sind die Zeiten günstiger Bewertungen lange vorbei. Die hohen Bewertungen von heute lassen befürchten, dass Investoren mit jedem weiteren Kursgewinn in größere Gefahr geraten. Frei nach Chris Bonington, dem berühmten Besteiger des Mount Everest, steigt mit jedem Schritt in Richtung Gipfel das Risiko. Zurzeit können wir den Gipfel aber nicht sehen, denn der steckt in den Wolken.

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