Ist die Opec noch relevant für die Ölpreisentwicklung?

KOLUMNE | Zumindest einen „Vorwurf“ kann man der Opec nicht machen, nämlich, dass sie über Disziplin verfügt. Jeder wilde Hühnerhaufen hat mehr davon. Geradezu absurd wird es aber dann, wenn Disziplinlosigkeit geschäftsschädigend wird.

Von Robert Halver, Baader Bank

robert-halver-baader-bank-kolumne So geschehen in Doha, wo sich Opec und Russland nicht auf das Einfrieren der Ölförderung einigen konnten und damit steigende Preise verhinderten, die alle Ölländer so dringend brauchen. Wer die Opec zum Freund hat, braucht keine Feinde mehr.

Die Opec-Nachkommen haben kein Auskommen mehr mit ihrem Einkommen
Und dabei weiß doch jedes Kartellmitglied, dass man die Einhaltung von Förderbegrenzungen schon aus rein logistischen Gründen nicht überprüfen kann. Es fahren keine Expertenteams weltweit Ölfelder und Bohrplattformen ab und messen, wie viel Öl aus Erde oder Meer gepumpt wird. Das heißt, allein schon die rein verbalerotische, tatsächlich nicht ernst gemeinte Verpflichtung auf eine Förderbeschränkung hätte den Ölpreis steigen lassen.

Das Ölkartell betreibt kollektiven Masochismus ähnlich wie Bienen, die sich für den Einsatz des Rasenmähers auf Blumenwiesen stark machen. In Venezuela ist nach Wegbrechen der Öleinnahmen der dort subventionierte Sozialismus wieder auf das zurückgefallen, was er immer war: Murx statt Marx. In Brasilien hat der Verfall der Ölpreise, der von schwachen Industriemetallpreisen flankiert ist, zu einer großen Rezession geführt, die auch dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff mehr Auftrieb verleiht. Im Grundsatz wäre die Absetzung der Präsidentin kein Beinbruch: Wie ihr Vorgänger hat es Rousseff in den guten Rohstoffjahren – als die Einnahmen aus Rohstoffen ähnlich rauschten wie die Iguazú-Wasserfälle – sträflich versäumt, den Aufbau einer soliden Volkswirtschaft in Angriff zu nehmen.



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Auch Väterchen Frost Putin wird sich beim Ölkartell „bedankt“ haben. Öl macht mehr als die Hälfe der russischen Exporte aus und stabilisiert Putins Staatshaushalt ähnlich wie Stahlbeton die Hochhäuser New Yorks. Außerdem, je mehr der Ölpreis fällt, desto mehr ist Russlands Rolle als Großmacht mit Spielwiesen wie in Syrien finanziell gefährdet.

Saudi Arabien ist der J.R. Ewing unter den Ölländern
Und schuld daran ist nur Saudi-Arabien. Mit den größten Ölreserven und den geringsten Förderkosten ist das Land zwar der Platzhirsch der Opec mit der höchsten Schmerztoleranz. Doch auch die Saudis kommen nicht ungeschoren davon: Je schwächer der Ölpreis, desto größer ihr Haushaltsdefizit. Man sitzt zwar noch auf Bergen von Währungsreserven wie Onkel Dagobert Duck auf seinen Golddukaten. Doch die Finanzgeschichte zeigt deutlich, dass auch üppigste Reserven so schnell schmelzen können wie Speiseeis in der arabischen Wüste. Die hohen staatlichen Sozialleistungen, die Saudi-Arabien als Fixkosten zahlt, um das Volk bei guter Laune zu halten, sind nicht aus der Portokasse zu entrichten.
Dennoch, die Saudis benutzen den Ölpreis hemmungslos als Waffe im Energie-Machtkampf, selbst wenn man damit die seit 1960 bestehende Opec zersetzt. In der „Energiekrise“ ist den Saudis das eigene Hemd näher als der Rock des Kartells. Den Erzfeind Iran will man mit Ölpreis-Dumping davon abhalten, Marktanteile auf saudische Kosten zu gewinnen. Natürlich will man auch der alternativen Ölfördermethode Fracking das Leben so schwer wie möglich machen. Und der „Zickenkrieg“ unter den Ölbrüdern geht noch weiter: Die Saudis drohen unverhohlen damit, die Ölpreise über weitere Fördererhöhungen endgültig kaputt zu machen.

Interessanterweise ist der Iran der heimliche Gewinner des Familienzwists. Putin ist stinksauer, dass die Saudis die mit ihm im Vorfeld des Treffens in Doha einvernehmliche Absprache, das Fördervolumen einzufrieren, nicht eingehalten haben. Russland rächt sich auf seine unnachahmlich charmante Art und Weise: Putin hat dem Iran einen Milliarden-schweren Kredit gewährt wie schon vorher Indien, das mehr Öl aus dem Iran einkaufen will. So sichert man die Reindustrialisierung des saudischen Intimfeinds Iran und zeigt den Saudis ihre Grenzen auf.

Der saudische Kampf gegen Fracking entspricht dem Kampf Don Quijotes gegen Windmühlen
Nach dem Zusammenbruch der Immobilienblase 2008 hat Amerika einen wirtschaftlichen „Vietnam-Effekt“ erlitten. Es fühlte sich auf einmal verletzlich und hatte große Angst davor, China könne die USA überrollen. Seitdem setzt Amerika alles daran, wieder stark und unabhängig zu sein. Dazu gehört auch die energieseitige Freiheit über Fracking. An dieser Alternativfördermethode werden die USA selbst bei massiv fallenden Ölpreisen ähnlich festhalten wie der Löwe an einer Beute. Und sollten Fracking-Anleihen wirklich Not leiden, gibt es immer noch die Fed, die ihre staatstragende Aufgabe auch in der finanzpolitischen Heilung der heimischen Energiebranche sieht. Im Übrigen handelt es sich bei Fracking um eine noch junge Industrie, die über Quantensprünge die Gewinnschwelle auch bei schwächeren Rohstoffpreisen erreichbar macht.

Früher hatte man Angst vor Förderkürzungen der Opec, heute sehnt man sich danach
In der westlichen Welt freut man sich über billiges Öl. Die Deutschen gaben 2015 laut Mineralölverband knapp 14 Milliarden Euro weniger für Sprit und Heizöl aus und hatten damit Kaufkraft für andere Güter und Dienstleistungen. Ebenso freute sich die Industrie: Auch im Rohstoff-Einkauf liegt der Gewinn.

Doch die Kehrseite der Medaille wiegt schwerer: Wenn die Rohstoffländer weniger im Portemonnaie haben, können sie auch weniger segensreich für die Weltkonjunktur wirken. Sie werden dann zum Beispiel weniger Autos und Maschinen bei uns kaufen.

Und die Rating-Agenturen warten wie Aasgeier auf jede Gelegenheit, die Förderländer abzustufen. Dann wird ihre Haushaltslage noch prekärer, weil ihre Rendite- beziehungsweise Zinsaufschläge auf Anleihen und Kredite noch höher werden. Und im Extremfall kann es auch zu schweren politischen Konflikten kommen. Sollten Staaten wie Nigeria (sozial-)politisch zusammenbrechen, wäre das eine Steilvorlage für islamistischen Terror und nachfolgende massive Flüchtlingsströme.

Der Tiger, der als Bettvorleger endete
Grundsätzlich befinden sich die Ölländer in einem Gefangenendilemma. Hält man wie die drei Musketiere zusammen, könnten alle höhere Gewinne erzielen, wenn alle gemeinsam die Ölförderung bremsen und daraufhin der Ölpreis ansteigt. Aber wenn auch nur ein „Pharisäer“ dabei ist, der Sabotage im Sinne einer unbeirrten weiter hohen Förderung betreibt, sind alle anderen Verlierer. Dieser „Einer für Alle, Alle für Einen“-Schwur ist heute bei einer disziplinlosen Opec nicht mehr zu erwarten. Wir sind nicht mehr in den 70er-Jahren, als die Ölförderländer hoch diszipliniert höhere Ölpreise durchsetzen konnten.

Insgesamt können damit die Ölpreise wieder nachgeben. Ich bezweifele aber, dass sie markant und schon gar nicht auf die Tiefstände vom Januar fallen. Denn außerhalb der Opec, in den USA zum Beispiel, ist die Rohölproduktion auf den niedrigsten Stand seit Oktober 2014 gefallen. Es lohnt sich nicht mehr, jedes Bohrloch sprudeln zu lassen. Selbst bei der Opec und ihrem leitenden Angestellten Saudi-Arabien stirbt die Hoffnung zuletzt, beim nächsten Kartelltreffen im Juni der Wirtschaftlichkeit wieder mehr Bedeutung beizumessen und insofern die Ölförderung zumindest auf dem aktuellen Stand einzufrieren. Das wirtschaftlich starke Saudi-Arabien sollte sich endlich weise seiner politischen Verantwortung für den Nahen und Mittleren Osten bewusst sein. Für eine Politik gemäß dem Motto „Hauptsache, mir geht es gut“ ist kein Platz. Der Familienzwist der Opec muss ein Ende finden.

Allerdings muss auch niemand massive Ölpreisanstiege befürchten. Eine abzusehende weltkonjunkturelle Erholung lässt zwar die Ölnachfrage wieder anziehen. Doch spätestens ab einem Ölpreis von 60 Dollar wird Fracking als Alternative zu konventionellem Öl hoch interessant.

Egal wie die Opec reagiert, ihre Glanzzeiten und ihre früher einzigartige Bedeutung für den Ölpreis sind für immer vorbei. Energiekrisen wie 1973 oder 1979 kann sie nicht mehr auslösen. Den Tiger kann man zwar noch tanken, aber er hat bestenfalls faule Zähne. Damit kann er die Aktien fundamental nicht mehr beißen.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Er ist durch regelmäßige Medienauftritte im Fernsehen, auf Fachveranstaltungen sowie durch Publikationen und als Kolumnist bekannt. Sein Markenzeichen, der rheinische Humor und die unterhaltsame, bildhafte Sprache, kommen bei keinem seiner Auftritte zu kurz. Siehe auch 7 Fragen an Robert Halver.

Über mögliche Interessenkonflikte und rechtliche Hinweise informieren Sie sich bitte im Disclaimer der Baader Bank auf www.bondboard.de/Newsletter/Disclaimer. Die Meinung des Gastautors muss nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.


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Foto: Baader Bank

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