Georg Graf von Wallwitz: »Die dünne Spitze der Pyramide«

GASTKOMMENTAR

GASTKOMMENTAR | Wie schaffen es manche Länder und Unternehmen, sich ihre Innovationsfähigkeit zu erhalten? Vielen Ländern – von Russland über Thailand bis Argentinien – gelingt es nicht zur Spitzengruppe der entwickelten Länder aufzuschließen. Dr. Georg Graf von Wallwitz, Fondsmanager der Phaidros Funds und Geschäftsführer der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH, erklärt in seinem Gastkommentar die Ursachen dieses Phänomens.

Von Georg Graf von Wallwitz, Eyb & Wallwitz

Die meisten guten Antworten auf die oben gestellten Fragen hängen mit dem Zauberwort Produktivität zusammen. Nach einem berühmten Ausspruch des Ökonomen Paul Krugman ist Produktivität nicht alles – langfristig aber fast alles. Denn unser Wohlstand hängt zu einem sehr großen Teil von ihr ab. Wenn wir mit weniger Aufwand mehr herstellen oder wenn wir in kürzerer Zeit bessere Dienstleistungen erbringen, geht es der Gesellschaft wirtschaftlich besser.

Was Produktivität fördert oder behindert, ist unter Ökonomen stark umstritten. Es lässt sich aber feststellen, dass seit dem Ende der 1970er-Jahre das Produktivitätswachstum in der westlichen Welt kontinuierlich abnimmt und damit auch die Wachstumsrate. Pessimisten wie wir gehen davon aus, dass dieser Zustand tiefe Ursachen hat und uns noch lange erhalten bleibt, dass wir also in einem Zeitalter der Stagnation leben.

Als Ursachen werden oft das niedrige Bevölkerungswachstum, die ungleiche Verteilung und eine geringe Innovationsfreude in der westlichen Welt genannt. Andererseits sind die Zeitungen voll davon, dass die Industrie am Anfang eines digitalen Zeitalters steht und dass durch Roboter alles einfacher und effizienter wird. Wie geht das zusammen: Stagnation und Neuauflage der Industriellen Revolution?

Andrew Haldane, Chefvolkswirt der Bank of England, hat beobachtet, dass es derzeit viele Länder und Unternehmen gibt, deren Produktivitätswachstum recht gering ist, das heißt wenig neuen Wohlstand produzieren. Diese Nachzügler werden immer stärker abgehängt von einer relativ kleinen Speerspitze der Entwicklung, der nach wie vor eine hohe (und sogar steigende) Produktivitätsentwicklung gelingt. Die Schere zwischen dieser kleinen Gruppe und dem großen Rest geht deutlich auseinander. Der technologische Fortschritt ruht offensichtlich auf immer weniger Schultern, Innovation gibt es nur noch von wenigen leistungsfähigen Unternehmen und Ländern. Dies könnte erklären, warum wir in einer Epoche der Roboter-Revolution dennoch so wenig Wachstum sehen. Innovation und Stagnation können offensichtlich gut miteinander koexistieren.

Bemerkenswert ist die gegenwärtig hohe Konzentration der Innovationskraft in wenigen Unternehmen und Ländern aber dennoch. Sie erklärt vielleicht das allgemein sinkende Produktivitätswachstum und die auseinanderdriftenden Haushaltseinkommen. Der Wohlstand wird heute nicht mehr so gleich verteilt wie in der Vergangenheit, als Innovation noch ein breiter angelegtes Phänomen war. Beispielsweise findet heute die Innovation bei den Verfahren der Künstlichen Intelligenz oder des autonomen Fahrens in wenigen Großunternehmen statt. Kleinere Unternehmen, die nennenswerte Fortschritte machen, werden oft schnell gekauft und in größere Einheiten integriert. So kommen die Besten und Brillantesten in einer Institution zusammen und dagegen ist von außen kaum anzukommen. Auf diese Weise bilden sich Oligopole, die viel Geld verdienen – und die Schumpeters kreative Zerstörung in der Wirtschaft ein Stück weit außer Kraft setzt.

Für Investoren, die kühl von den sozialen Implikationen abstrahieren und ihren Blick auf das langfristige Zahlenwerk wenden müssen, ist diese Diagnose sehr wichtig. Kurzfristig haben diese Überlegungen keinen Effekt, langfristig gibt es aber kaum wichtigere. Unternehmen (und Länder), die in einer sich rasch wandelnden Welt abgehängt werden, sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten, denn an der Börse wird nur eine rosige Zukunft gut bezahlt. Gewinner im Innovationsspiel werden Unternehmen sein, die Industrierobotik meistern und dadurch die Produktionstechnik revolutionieren. Gut wird es auch Unternehmen der Pharmabranche gehen, denen es gelingt Datentechnik in Forschung und Entwicklung, aber auch bei der Produktion stark individualisierter Medikamente einzusetzen. Bei Versorgern und im Transportwesen werden datengetriebene Netzwerke mit geteilter Infrastruktur durchsetzen. Wenige Gewinner wird es bei den sozialen Medien geben, das liegt in der Natur der Sache. Und daneben gibt es noch einige wild-cards, die das Potenzial haben, den Status Quo zu unterminieren, wie etwa die Batterietechnik.

Es wird sich, kurz gesagt, bezahlt machen, auf die Oligopole zu setzen, deren Bildung wir in den letzten Jahren gesehen haben. Denn es spricht vieles dafür, dass sie uns noch einige Jahre begleiten werden. Und es wird sich nicht lohnen, auf die Nachahmer zu setzen, denen das Aufholen immer weniger gelingt. Konkret gesagt, gehören Google und Amazon in jedes passende Portfolio, Rocket Internet eher nicht.

(boersianer.info veröffentlicht in dieser Rubrik Gastkommentare und -kolumnen aus verschiedenen Quellen. Verantwortlich für den Inhalt ist allein der jeweilige Autor. Die Meinung des Gastautors muss nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

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