Geoffroy Lenoir: Wird Frankreich unter Macron einen anderen Takt anschlagen?

GASTKOMMENTAR

GASTKOMMENTAR | Emmanuel Macron hat eine ehrgeizige Reformagenda skizziert, nachdem er die rechtsextreme Rivalin Marine Le Pen in der französischen Präsidentschaftswahl geschlagen hatte. Aber wird er in der Lage sein, seine Versprechen zu halten, die französische Wirtschaft wiederzubeleben und Europa zu vereinen? Ein Gastkommentar von Geoffroy Lenoir, Head of Euro Sovereign Rates, Mutual Funds, Aviva Investors.

Von Geoffroy Lenoir, Aviva Investors

Am Abend des 7. Mai stieß das europäische Polit-Establishment einen kollektiven Seufzer der Erleichterung aus. Emmanuel Macron errang bei den französischen Präsidentschaftswahlen einen emphatischen Sieg und schlug die Front National Kandidatin Marine Le Pen mit 66 Prozent der Stimmen. Dabei widerstand er der Flut des populistischen Nationalismus, die den Kontinent zu überschwemmen drohte.

Macron ist Führer von En Marche!, einer Partei des politischen Zentrums, die er im Jahr 2016 gegründet hat, um Elemente der französischen Linken und Rechten zu vereinen. Als ehemaliger Wirtschaftsminister in der Regierung von François Hollande ist Macron im erstarrten politischen Prozess in Frankreich zunehmend frustrierter geworden und zählt als lautstarker Reformbefürworter.

Im Mittelpunkt seiner politischen Agenda steht ein liberales Wirtschaftsmodell, das die Fiskaldisziplin mit öffentlichen Ausgaben verbindet. Er will die Arbeitsgesetze flexibler machen, 120.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst kürzen und die Unternehmenssteuer von 33 auf 25 Prozent senken. Er plant aber auch, den Sozialstaat zu erweitern, um die Selbstständigen besser zu unterstützen und mehr Mittel für lebenslanges Lernen und Umschulungen für Arbeiter auszugeben, deren Arbeitsplätze für Automatisierung anfällig sind. Auf Europaebene will er eine tiefere Integration der Eurozone und die Vollendung der Bankenunion. In seinen Plänen hätte der Währungsblock einen eigenen Finanzminister und wäre in der Lage, gemeinsame Anleihen auszugeben.

Es stellt sich die Frage: Ist Macron auch in der Lage zu liefern? Innenpolitisch wird viel von dem Ergebnis der Parlamentswahlen im Juni abhängen, wo En Marche! für jeden der 577 Sitze einen Kandidaten aufstellen wird. Im Ausland muss Macron eng mit Deutschland zusammenarbeiten und Brücken mit südeuropäischen Ländern, vor allem mit Italien, bauen, wo die euroskeptische Stimmung auf dem Vormarsch ist.

Märkte bleiben ruhig
An den Staatsanleihemärkten gab es nach dem Sieg Macrons keine großen Bewegungen, was darauf hindeutet, dass die Anleger in Bezug auf das Wahlergebnis gut positioniert waren. Wenn überhaupt, ist das Ergebnis noch deutlicher ausgefallen, als es Märkte und Umfragen erwartetet haben. Die französischen Wähler haben eine klare Botschaft gesendet: Sie lehnen extremistische Parteien ab und haben Macron ein Reformmandat erteilt.

Der wichtigste Punkt auf der Agenda des neuen französischen Präsidenten ist die Arbeitsmarktreform. Momentan haben nur Arbeiter, die entlassen werden, Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Macron will diese Unterstützung auch auf Unternehmer und Selbstständige ausweiten. Zudem will er Unternehmen mehr Spielraum bei Arbeitszeitverhandlungen geben, was sowohl die Flexibilität und Dynamik des Arbeitsmarktes als auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln soll. Auch die Unternehmenssteuer soll gekürzt und das Haushaltsdefizit reduziert werden, was von Staatsanleihe-Investoren begrüßt wird.

Macron muss jetzt liefern
Ob Macron das Angekündigte auch umsetzen kann, hängt davon ab, wie seine Partei bei den Parlamentswahlen im Juni abschneidet. Mit dem Schwung aus der Präsidentschaftswahl wird seine Partei nach den neuesten Prognosen zwischen 240 und 280 Sitze erringen, was auch für uns realistisch scheint.

Unser anderes Kernszenario ist eine Koalition, unter der eine wiederbelebte republikanische Partei eine beträchtliche Anzahl von Sitzen gewinnt und Macron dazu zwingt, einen Mitte-Rechts-Premierminister zu wählen. Aber selbst dann würde Macron eine gute Chance haben, Reformen durchführen, da viele Republikaner seinen unternehmensfreundlichen Ansatz teilen. Macron ist eine versöhnliche, pragmatische Figur und kann Allianzen aufbauen. Ein drittes Szenario, in dem das Parlament zwischen mehreren verschiedenen Parteien aufgeteilt wird, würde größere Hürden darstellen, aber dieses Ergebnis ist weniger wahrscheinlich.

Realistischer sind jedoch zivile Unruhen, wie sie François Hollande bei der Verabschiedung seiner Arbeitsreformen erlebt hat. In der Tat gab es schon seit Macrons Sieg Gewerkschaftsdemonstrationen in Paris. Aber als ehemaliger Wirtschaftsminister unter Hollande wird Macron aus den Fehlern seines Vorgängers gelernt haben und sicherstellen, dass die notwendige politische Unterstützung vorhanden ist, bevor er solch einen Prozess beginnt. Macrons Versprechen, mehr für Ausbildung und lebenslange Weiterbildungsprogramme für entlassene Arbeitnehmer auszugeben, könnte zudem die harten Arbeitsreformen etwas versüßen.

Die Einheit Europas stärken
Als Pro-Europäer möchte Macron die Eurozone wieder stärken. Seine Chancen dafür stehen gut: So ziemlich jedes europäische Regierungsoberhaupt hat seine Kandidatur befürwortet. Besonders große Unterstützung erhielt er aus den südeuropäischen Ländern. Der ehemalige griechische Wirtschaftsminister Yanis Varoufakis hat Macron unterstützt, da dieser die Interessen Griechenlands während der Schuldenkrise 2015 vertreten hätte. Dieser Beistand ist sehr wichtig, weil die Beziehung zwischen Nord- und Südeuropa für die Zukunft der Eurozone entscheidend sein wird. Daher könnte Macron eine große Rolle bei der Stärkung der europäischen Einheit spielen. Von Vorteil ist auch eine schon etablierte Beziehung zu Angela Merkel, obwohl jegliche Fortschritte und Reformbemühungen in der EU erst nach den deutschen Wahlen im September starten können.

Nachdem der Populismus in Frankreich und den Niederlanden vorerst zurückgedrängt wurde, bildet Italien die größte Bedrohung für die Zukunft der Eurozone. Frankreich und Deutschland müssen zeigen, dass sie mit Italien arbeiten können, um dem Land dabei zu helfen, eine stärkere Wirtschaft aufzubauen. Wenn die euroskeptische Stimmung in Italien vor den Parlamentswahlen im kommenden Jahr stärker wird, könnte die Fünf-Sterne-Bewegung, die ein Referendum über die Mitgliedschaft in der Eurozone befürwortet hat und derzeit in den Umfragen vorne liegt, an die Macht kommen.

Eine weitere Herausforderung bleibt der Brexit. Macron ist pragmatisch und weiß, dass eine reibungslose Verhandlung über die Bedingungen des britischen Ausstiegs aus der EU im besten Interesse beider Parteien ist. Trotzdem hat er den Brexit als schwerwiegenden Fehler beschrieben. Daher erwarten wir von ihm einen klaren Standpunkt, dass Großbritannien die EU nicht verlassen und trotzdem weiter die Vorteile der Mitgliedschaft genießen kann. Zudem kann das Vereinigte Königreich auch sogenannte Passporting-Rechte für Finanztransaktionen verlieren, wenn es diese harte Haltung beibehält. Paris kämpft bereits mit anderen europäischen Städten darum, Unternehmen aus London anzulocken, obwohl Luxemburg und Frankfurt wahrscheinlich besser positioniert sind, Finanzdienstleistungsunternehmen für sich zu gewinnen.


(boersianer.info veröffentlicht in dieser Rubrik Gastkommentare und -kolumnen aus verschiedenen Quellen. Verantwortlich für den Inhalt ist allein der jeweilige Autor. Die Meinung des Gastautors muss nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

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