Wer 2016 nachhaltige Krisen zulässt, ist geistesgestört!

KOLUMNE | Untergangspropheten malen das Bild eines Chinas, das kurz vor einer Mega-Rezession wie die USA im Jahr 1929 steht. Die 6,9 Prozent Wirtschaftswachstum für 2015 seien Lug und Trug. Und die in Wirklichkeit vorherrschende Konjunkturmalaise werde auch global streuen: China nimmt die ganze Welt in die Sippenhaft eines nachhaltigen Schrumpfungsprozesses.

Von Robert Halver, Baader Bank

robert-halver-baader-bank-kolumne Weniger Wachstum in China ist sogar gesund

Zugegeben, man muss kein ausgewiesener Wirtschaftsexperte sein, um zu wissen, dass diese Zahl hemmungsloses Wunschdenken ist. Wer die Handicaps im Export, bei Immobilien und in der Industrie sowie die verschuldungsbedingte Konsumbremse auch nur ungefähr kennt, weiß, dass solche Zahlen aus dem kommunistischen Märchenbuch sind, allerdings ohne Happy End.



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Realistisch ist ein tatsächliches Wachstum in China zwischen drei und vier Prozent. Und ehrlich gesagt kann die Welt damit auch gut leben, ja sie sollte sogar froh darüber sein. Denn nachhaltiges Wachstum von knapp sieben Prozent führte zu einer schlimmen Überhitzung, die sich früher oder später in einem gewaltigen Platzen der Konjunkturblase entlüde. Und dann wäre ein Zusammenbruch der Weltwirtschaft so sicher wie Reis und Essstäbchen im China-Restaurant.

Dem Land des Lächelns darf das Lachen nie vergehen, erst recht nicht der Welt

Wieso aber hält die KP Chinas an der Illusion von sieben Prozent Wachstum so stur fest? Es geht um gute Laune. Grundsätzlich weiß die KP, dass der Übergang von einer dynamisch wachsenden Industrie- und Exportgesellschaft zu einer nachhaltigen Dienstleistungs- und Konsumwirtschaft noch in keinem Land ohne Blut, Schweiß und Tränen geklappt hat. Auch in China gibt es heute Arbeits- und Perspektivlosigkeit. China muss mit kommunistischer Stimmungspropaganda durch die harte Zeit geführt werden. Es geht um die Illusion Chinas als Wachstumstempel, koste es, was es wolle. Ansonsten würden die Chinesen skeptisch, kämen ins Nachdenken und Nachdenken schadet zunächst der Illusion und später wird das Portemonnaie zugenagelt. Dem Volk soll der Ernst des Wirtschafts-Lebens mit frisierten Wirtschaftsperspektiven ebenso sanftmütig untergejubelt werden wie Schulanfängern die Bildungsnotwendigkeit mit einer prall gefüllten Schultüte.

Auf diesen harten Brettern der Wirtschaftsbühne spielt der Aktienmarkt keine Statisten-, sondern eine tragende Rolle. Zwar ist der chinesische Leitindex Shanghai Composite als Abziehbild der Wirtschaft Chinas genauso untauglich wie früher der Neue Markt für die deutsche. Doch eine miese Aktienstimmung – das mussten Amerikaner und wir bitter erfahren – kann die Stimmung in der Realwirtschaft nachhaltig eintrüben. Dazu passt ein deutscher Schlager von Julio Iglesias: „Mit Tränen in den Augen ist man blind, man sieht nicht wie die Dinge wirklich sind“.


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Die KP sollte sich diesen Zusammenhang schleunigst bewusst machen. Wäre der Aktienmarkt in China seit Jahresanfang nicht so eingebrochen, wäre die chinesische Wachstumsdiskussion nicht so massiv aufgekommen und auch der Druck auf den Ölpreis wäre vermutlich weniger stark ausgefallen. China hat schlafende Hunde geweckt. Hier können Maos Erben vom Leid geprüften Westen durchaus noch viel lernen: Der Zweck heiligt die Mittel.

Industrieländer haben gegenüber Schwellenländern die Nase vorn

Apropos Öl, die wie gesprengte Hochhäuser zusammenfallenden Rohstoffpreise werden spätestens seit Jahresbeginn als apokalyptisches Omen für die Weltkonjunktur und na klar auch wieder für die Finanzmärkte gesehen. In der Tat, in Russland, Saudi-Arabien oder Brasilien – auch die Industriemetallpreise sind schwach – ziehen sich Konjunktur- und Finanzlaune gegenseitig nach unten. Ich will die Bedeutung dieser Länder für die weltwirtschaftliche Kaufkraft und damit deren Prosperität sicher nicht klein reden. Aber wo Schatten ist, ist auch Licht. Für die konjunkturzyklischen und exportstarken Aktienunternehmen der Industrieländer liegt nicht zuletzt im Rohstoffeinkauf ihr Gewinn, auch der Gewinn für die Kaufkraft der westlichen Konsumenten. Und wenn jetzt der Iran auf den Ölmärkten wieder mitspielen darf, wird das Objekt der Begierde nicht nur noch günstiger. Gleichzeitig schreit der infrastrukturell und industriell veraltete Iran förmlich nach deutschem Industrie-Know-how. Die Aufhebung der iranischen Sanktionen wird damit auch den Sanktionen gegen Russland entgegenwirken. Endlich wieder etwas mehr fundamentaler Speck an den abgenagten Konjunkturknochen.

So wird am Aktienmarkt an die Stelle des Kaufkraftverlustes der Rohstoffländer allmählich der Kaufkraftgewinn der Industrieländer treten. Daher sind Industrieländer gegenüber Emerging Markets und Rohstoffländern überzugewichten. Früher oder später wird es konjunkturreagible Titel aus dem Dax und MDax freuen.

Man kann einwenden, dass der schwache Ölpreis der US-Fracking-Industrie aktuell die Luft zum Atmen raubt. Verschärft wird die Lage dadurch, dass diese Industrie in den nächsten zwei Jahren etwa 80 Prozent ihrer Unternehmensanleihen refinanzieren muss. Wer traut sich da zuzugreifen? Aber wird eine US-Notenbank tatsächlich zuschauen, dass die Fracking-Blase ähnlich platzt wie die Immobilienblase 2008 und weiteres Öl in das Feuer der Verunsicherung gießt? Die US-Zinswende muss mindestens ausgesetzt werden.

Mit aller Kraft gegen den finalen Kabelbrand im Herzschrittmacher

Im Extremfall werden unnötigerweise noch mehr schlafende Krisen-Hunde geweckt, die als bösartiges Rudel dann einen internationalen deflationären Stimmungsschock wie 2008 auslösen könnten. Politische Krisen wie die Euro-Sklerose könnten unbeherrschbar werden. Und wie will man dann überhaupt noch gegensteuern, wenn die Zinsen bereits de facto bei null liegen und die Staatsverschuldung bereits völlig aus dem Ruder gelaufen ist? Alle Mühe, alle aufwendige Heilung seit 2008 war dann für die Katz.

Wer 2016 in der Finanz- und Geldpolitik schlechte Laune, Rezession und Deflation zulässt, begeht wirtschaftlichen Selbstmord. So grenzenlos dumm kann niemand sein. Die Wahrheit ist, dass gegen das Trio Infernale aus China, Öl und Europa mit Stabilität im ursprünglichen Sinne kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Sind wir ehrlich: Ohne weltumspannende vorbeugende Stabilitätssünden wird es nicht mehr gehen. Ansonsten macht es in unserem Finanzsystem Knall, Puff, Peng!

Und was machen jetzt die Anleger in dieser volatilen Marktphase: Aktienansparpläne! Nie waren sie so wertvoll wie heute!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Er ist durch regelmäßige Medienauftritte im Fernsehen, auf Fachveranstaltungen sowie durch Publikationen und als Kolumnist bekannt. Sein Markenzeichen, der rheinische Humor und die unterhaltsame, bildhafte Sprache, kommen bei keinem seiner Auftritte zu kurz. Siehe auch 7 Fragen an Robert Halver.

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Foto: Baader Bank

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