Erlebt die bislang verschmähte Anlageklasse Rohstoffe 2016 eine Wiedergeburt?

KOLUMNE | Spätestens seit Mitte 2012 – unter anderem rettete Mario Draghi die Finanzwelt mit seiner aphrodisierenden Geldpolitik – haben Zinspapiere und Aktien mit Unterbrechung einen guten Lauf. Das kann man von Rohstoffen nicht behaupten. In der Wertentwicklung sind sie Underdogs.

Von Robert Halver, Baader Bank

robert-halver-baader-bank-kolumne Das war einmal anders. Öl hatte seinen Rekordwert im Juli 2008 mit fast 150 US-Dollar pro Barrel erreicht. Von vermeintlich renommierten Rohstoffhäusern wurden damals weiter steigende Ölpreise von weit über 200 Dollar prognostiziert. Die Gründe lagen auf der Hand: Die BRIC-Staaten wuchsen mit viel Schmackes, China sogar mit fast zehn Prozent. Daher war man hinter Öl und Industriemetallen her wie der Teufel hinter der armen Seele. Ein Treiber für Rohstoffe war ebenso der schwache US-Dollar. Für einen Euro mussten Amerikaner fast 1,60 bezahlen. Eine schwache Weltleitwährung ist grundsätzlich gut für in Dollar notierte Rohstoffe, da sich beide unter anderem aus Absicherungsgründen entgegengesetzt entwickeln. Das erinnerte an die Werbebotschaft von Fisherman’s Friend: „Sind sie zu stark (Rohstoffe), bist Du (Dollar) zu schwach“. Damals war die Rohstoffwelt noch in Ordnung.

An Chinas Wirtschafts-Wesen können die Rohstoffe nicht mehr genesen

Heute ist die „Neue Sachlichkeit“ bei Rohstoffen angesagt. Schuld sind zunächst die Schwellenländer, die unter wirtschaftlicher Ladehemmung leiden. Der Übergang von Export und Investitionen hin zu Konsum ist eben nicht so problemlos möglich wie ein Zugwechsel am Kölner Hauptbahnhof auf dem Weg von Frankfurt nach Düsseldorf. Und was Rohstoffen damals mit einem schwachen Dollar noch zur Blüte verhalf, wirkt sich heute über eine starke Weltleitwährung als deren Vertrocknung aus.



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Die von Energiepreis-Völlerei lange Zeit verwöhnten Öl-Länder mussten sich auf strikte Diät einstellen. Heute sind die Ölpreise so tief wie seit 2009 nicht mehr. Die Öleinnahmen der Opec-Staaten haben sich seit 2012 halbiert. Ausgeglichene Staatshaushalte allein auf Basis des Ölverkaufs sind zurzeit für alle Opec-Mitglieder eine unerreichbare Illusion. In einigen Opec-Ländern soll bereits die Population an Pleitegeiern zugenommen haben.

Da der Ölpreis so etwas wie der Rudelführer unter den Rohstoffpreisen ist, haben auch Industriemetalle wie Tränensäcke nachgegeben. Das ist ebenso der Grund, warum sich Brasilien tief in der Rezession befindet. Alle Rohstoffländer sehen sich 2015 gegenüber 2012 einem Nachfrageausfall von annähernd zwei Billion US-Dollar ausgesetzt. Dieser Kaufkraftverlust macht natürlich auch vor Exportnationen nicht halt. Insgesamt braucht eine so gehandicapte Weltwirtschaft auch noch weniger Öl und Industriemetalle. Die Rohstoffbaisse nährt die Rohstoffbaisse.

Wann steigen die Rohstoffpreise wieder?

Die Aussichten für Rohstoffländer sind wenig hoffnungsvoll. Die Welt ersäuft in Öl. Das Ölpreiskartell Opec hat dieser preisdrückenden Entwicklung nichts entgegenzusetzen. Die Ölminister trafen sich zwar kürzlich in Wien. Aber ähnlich wie beim Wiener Kongress 1815 galt auch hier: Der Kongress hat nur getanzt, aber nicht entschieden. In puncto Drosselung der Förderquoten war man sich völlig einig, komplett uneinig zu sein. Früher war die Opec noch ein starker Hengst: 1973 und 1979 hatte man die Weltwirtschaft über zwei von ihr losgetretene Energiekrisen im Mark getroffen. Heute ist sie nur noch ein schüchterner Wallach. Angesichts der Ölpreisschwäche hat der Kampf um das wirtschaftliche Überleben den früheren Opec-Corpsgeist in einen Förderkrieg untereinander verwandelt. Jedes Land pumpt so viel es kann, um die knubbelige Konkurrenz über unattraktive Preise von den Märkten fernzuhalten, ähnlich wie Febreze üble Gerüche von Kleidern und Möbeln. Trotzdem gibt es keine positive Vision: Denn ab 2016 wird der Iran die bereits bestehende Ölflut zur Öl-Sintflut machen. Denn nach Konfliktbereinigung mit dem Westen will das Land endlich wieder zum big oil spender werden. Und auch Väterchen Putin wird die Ölpumpen Tag und Nacht rund um die Uhr laufen lassen, um irgendwie Geld in die klammen Kassen Russlands zu bringen.


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Warum sollte der Ölpreis 2016 steigen?

Kann der Ölpreis überhaupt jemals wieder nachhaltig steigen? Ab der Marke von 60 Dollar pro Barrel wird es nämlich attraktiv, die unkonventionelle Ölfördermethode „Fracking“ zu betreiben, die in immer mehr Ländern als alternative Energieversorgung betrachtet wird. Im Übrigen ist Fracking noch eine junge Technologie, die noch kostensenkende Quantensprünge machen wird und damit zukünftig auch bei tieferen Ölpreisen an Attraktivität gewinnt. Trotz der Preisschwäche bei konventionellem Öl wird man sich diese Alternativmethode nicht kaputtmachen lassen, schon aus Gründen der Energieunabhängigkeit. Insgesamt liegt bei der Ölpreismarke um 60 ein massiver Widerstand. Grundsätzlich wird der technische Fortschritt Öl, aber auch Gas immer mehr ersetzbar machen. Der Heizungsinstallateur meines Vertrauens betont immer wieder, dass es auf absehbare Zeit auch Heizungsanlagen auf Basis von Brennstoffzellen geben wird.

Vor diesem Hintergrund prophezeien einige Ölpreis-Versteher sogar Preise von 20 US-Dollar. Diese Prognose halte ich zwar genauso übertrieben wie die 200er-Marke von 2008. Interessanterweise kommen sie von den gleichen Adressen. Dann würden viele Bohrlöcher – konventionelle und unkonventionelle – aus Kostengründen massenhaft zugemacht. Marktanteilsicherung wird irgendwann der Verlustvermeidung untergeordnet. Dennoch, insgesamt haben Ölpreise ihren konjunkturellen Schrecken verloren. Energiekrisen mit massiv steigenden Ölpreisen wird es nicht mehr geben.

Der Blick auf die Terminmärkte unterstützt diese Einschätzung. Die spekulativen Netto-Long Positionen sind seit Mitte 2014 im Trend gefallen.

Welchen Einfluss hat die Währung?

Es stellt sich die Frage, ob sich eine aufgrund divergierender Geldpolitiken in den USA und in der Eurozone abwertende Gemeinschaftswährung der Rohstoffschwäche zumindest auf Euro-Basis entgegenwirken kann. Nein, offensichtlich hat selbst die seit 2014 zu beobachtende Euro-Schwäche die Rohstoffpreise nicht stützen können. Und sollte der Euro nächstes Jahr Richtung Parität zum US-Dollar gehen, wird auch das Rohstoffe nicht wirklich retten.

Und die Moral von der Anlage-Geschicht‘, Rohstoffe braucht man auch 2016 eher nicht

Rohstoffe als nachhaltige Investments sind also mit Risiken behaftet. Aber als Spekulationsobjekte und im Trading sind sie bestens geeignet. Ihre Volatilitäten dürften zunehmen.

Liebe langfristig orientierte Rohstoff-Freunde, grämen sie sich dennoch nicht. Es gibt ja Ersatzbefriedigungen. Immerhin wirken sich sinkende Rohstoffpreise für die Industriegesellschaften wie Zins- und Steuersenkungen gleichzeitig aus. Sie erhöhen die Margen der Unternehmen und die Kaufkraft der Konsumenten. Beides kommt den Aktienmärkten umsatz- und gewinnseitig zugute. Aktien werden daher 2016 nicht nur durch den „Evergreen“ der Liquiditätshausse, sondern auch immer mehr durch fundamentale Musik bei Laune gehalten.

Da geht man als Rohstoffanleger doch gerne fremd. Und das noch nicht einmal mit schlechtem Gewissen.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Er ist durch regelmäßige Medienauftritte im Fernsehen, auf Fachveranstaltungen sowie durch Publikationen und als Kolumnist bekannt. Sein Markenzeichen, der rheinische Humor und die unterhaltsame, bildhafte Sprache, kommen bei keinem seiner Auftritte zu kurz. Siehe auch 7 Fragen an Robert Halver.


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Foto: Baader Bank

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