Absurde Finanzwelt: Heutzutage ist eine Währung stark, wenn sie schwach ist

KOLUMNE | Am 1. Januar 2002 wurde der Euro allgemeingültiges Zahlungsmittel und die nationalen Währungen gingen in die ewigen Jagdgründe ein. Das Ende der Deutschen Mark ist vielen von uns damals schwer gefallen. Und auch der Wegfall der sie behütenden Deutschen Bundesbank war schwere Kost, sorgte sie doch über deutsche Finanzstabilität auch für die jahrzehntelange Härte unserer DM.

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Von Robert Halver, Baader Bank

Und da kam plötzlich eine supranationale neue Währung mit gleich zwölf Mitgliedsländern auf Deutschland zu. Außerdem degradierte die neue Super-Notenbank EZB unsere gute alte Deutsche Bundesbank – der Mythos unter den Notenbanken – nur noch zu einer Notenbankfiliale. Immerhin wurde uns zur Nervenberuhigung versprochen, dass die germanischen Stabilitätsgrundsätze in Form der Maastricht-Stabilitätskriterien auch für Euroland insgesamt gelten. Nicht zuletzt schworen unsere Politiker, dass die EZB den geldpolitischen Stabilitätsgeist der Bundesbank weiter strikt befolgt. Wo EZB drauf stand, sollte auch Bundesbank drin sein. Damals hieß es „Der Euro wird so stark sein wie die Deutsche Mark.“ Diese heiligen Treueschwüre kennt man auch aus frischen privaten Beziehungen.

Es war einmal: Der Euro so hart wie die Deutsche Mark

Zunächst hatte der Euro zwar keinen guten Lauf, weil sich die Euro-Wohngemeinschaft wohl erst finden musste. Anfang 2002 fiel er gegenüber US-Dollar sogar unter 0,86. Doch danach ging es stramm aufwärts. Der wegen der Etablierung einer Gemeinschaftswährung rasante Zinsverfall – die Renditen griechischer Staatsanleihen lagen 2004 kurzfristig sogar unterhalb denen aus Deutschland – erlaubte dramatische Konjunkturaufschwünge in der ehemals noch durch Hochzinsen belasteten südeuropäischen Wirtschafts-Diaspora. Euroland wurde zur Euro-Wirtschaftswunder-Zone. Selbst einige britische Wirtschaftspolitiker überlegten ernsthaft, ob es nicht doch sinnvoll wäre, sich dem Euro anzunähern. Damals war die Beziehung der Euro-Staaten untereinander von perfekter Harmonie geprägt, man könnte sogar von „Euro-Liebe“ sprechen. So viel fundamentale Wirtschaftsstärke ließ den Euro bis 2008 auf 1,60 zum US-Dollar ansteigen. Der Euro war so hart wie die DM. „Quod erat demonstrandum“ – was zu zeigen war – sagt man in der Mathematik. Unserer deutschen Exportwirtschaft tat die Euro-Stärke nicht gut, aber die starken Binnenwirtschaften der anderen Euro-Brüder rissen das auf Euro-Gesamtebene gut heraus.



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Aber leider, wenn die gegenseitige Liebe grenzenlos ist, denkt keiner an den möglichen Alltag mit ab und zu auch tieffliegendem Geschirr. Die wunderbaren Flitterwochen, die die Traumniedrigzinsen den Euro-Staaten bescherten, wurden nicht genutzt, um die anfänglich vertrauten Euro-Beziehungen auf eine langfristig stabile Basis zu stellen. Diese Jahrhundertchance, mit klaren Reformen einen Umbau der ineffizienten Standortfaktoren und den Aufbau wettbewerbsfähiger Industrien vorzunehmen, hat die Euro-Südzone nicht ergriffen. Im Gegenteil, die Mitgift ultragünstiger Zinsen wurde zur noch massiveren Staatsverschuldung und zu historisch beispiellosen Fehlallokationen im Immobilienbereich verramscht.

Finanzielle Stabilität war gestern, Stabilität der Eurozone ist heute

Dass man der gemeinsamen Stabilitätstreue fremdging, um wieder mit der früheren lotterhaften Finanzpolitik anzubändeln, rächte sich mit dem Bersten der Immobilienblase, die zu einer globalen (finanz-)wirtschaftlichen Krise führte. Es kam zu großem Beziehungsstress: Die reformseitig unbefleckten Euro-Volkswirtschaften waren diesem Schock nicht gewachsen. Sie wurden von Rezessionen, Massenarbeitslosigkeit und Staatsverschuldungen heimgesucht. Die mangelnde wirtschafts- und stabilitätspolitische Vision ließ die Eurozone derart an Bonität verlieren, dass die Risikoaufschläge für die Club Med-Länder der Eurozone eine reibungslose Finanzierung ihrer Staatsverschuldung nicht mehr zuließen. Im Sommer 2012 schließlich schien die letzte Ölung der Eurozone kurz bevorzustehen. Der Euro hatte bis auf unter 1,20 abgewertet. Schlechte Verfassung der Eurozone gleich schwacher Euro. Macht fundamental ja auch eigentlich Sinn.

Wie einst Cäsar kam „Er“, sah und siegte. Er, Mario Draghi, rettete den Euro und seine Zone vor der endgültigen Scheidung. Mit der Ankündigung des Anleiheaufkaufs entzog er den spekulativen Freiern den finanziellen Boden, um die Euro-Gemeinschaft zu retten. Die EZB hatte ihre Liquiditäts-Mitgift noch einmal erhöht, damit der Euro-Verbund, wenn schon nicht aus Liebe, dann zumindest aus finanziellen Vernunftgründen zusammenbleibt. Über sinkende Renditen waren die Staatsfinanzierung und der Erhalt der Eurozone gesichert.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann drücken sie auch morgen noch die Zinsen

Ja, das Ende der Euro-Staatsschuldenkrise ließ den Euro bis 2014 wieder auf 1,40 aufwerten. Doch konjunkturell hatte die Eurozone immer noch Beziehungsstress. Offensichtlich waren die Zinsen immer noch zu hoch. Doch wer A sagt, muss auch B sagen. Draghi setzte daher das Anleiheaufkaufprogramm tatsächlich um und drückte damit die Renditen von Deutschland, Italien & Co. richtig. Diese Aktionen schmälerten jedoch als Kollateralschaden die Attraktivität des Euro, der im Frühjahr sogar unter 1,05 fiel. Nach Zwischenerholung ist er im Augenblick wieder unter 1,10 gefallen.

Also ist der Euro doch nicht so stark wie die DM. Und wen stört es? Im Gegensatz zu früher scheinen sich viele heute darüber zu freuen. Je schwächer die Staatsanleiherenditen, desto schwächer der Euro und umso besser kann die Zone exportieren. Längerfristig ist sogar die Parität möglich. Und wenn sich die anderen Notenbanken tatsächlich erdreisten sollten, ihre Währung über Zins- und Liquiditätspolitik zulasten des Euros zu schwächen, wird die EZB ihnen auf die Finger hauen und die Versorgung mit Zentralbankgeld als Exponentialfunktion begreifen.

Die Währungsschwäche einigt den konjunkturellen Corpsgeist der Euro-Länder über die Exportseite. Damit ist Mario Draghi nicht nur der Schutzpatron der Euro-Staaten, sondern vor allem auch der deutschen Exportaktien.

Der Euro ist die stärkste Schwachwährung der Welt!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Er ist durch regelmäßige Medienauftritte im Fernsehen, auf Fachveranstaltungen sowie durch Publikationen und als Kolumnist bekannt. Sein Markenzeichen, der rheinische Humor und die unterhaltsame, bildhafte Sprache, kommen bei keinem seiner Auftritte zu kurz. Siehe auch 7 Fragen an Robert Halver.


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Foto: Baader Bank

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